(Spät-)Aussiedler:innen
Neue Alte Wurzeln
Kapitel
Intro
„Daheim“ und „fremd“ ist bei den sogenannten (Spät-)Aussiedlern gar nicht so einfach und vor allem nicht eindeutig zu definieren. In der Fremde als deutsche Minderheiten gelebt, machten sie sich insbesondere mit dem Fall des Eisernen Vorhangs in den 1980er/90er Jahren auf in Richtung Westen, in ihre angestammte Heimat. Doch was bedeutet das für sie? Konnten sie zurück zu ihren Wurzeln kommen und hier neue schlagen? Oder fanden sie sich vor Probleme gestellt, mit denen sie nicht gerechnet hatten? Hatten sie vielleicht sogar Heimweh nach den Orten, an denen sie geboren wurden oder aufgewachsen sind?
Den etwas unspezifisch klingenden und breit gefassten Begriff „Aussiedler“ oder „Spätaussiedler“ hat man schon des Öfteren zu hören bekommen – doch welche Gruppen fallen darunter? Was sind ihre Geschichten?
"(Spät-)Aussiedler
Frau Lilli Hein kam 1993 aus Kasachstan nach Deutschland, heute lebt sie in Pforzheim. Im Interview erzählt sie über die Geschichte der Russlanddeutschen und ihre persönlichen Erfahrungen in Kasachstan und in Baden-Württemberg:
Die Gesetzeslage
Wie genau verlief und verläuft die Einbürgerung der Aussiedler nach Deutschland und wie ist die Rechtsgrundlage?
Die genaue Definition von Spätaussiedlern im BVFG kann hier nachgelesen werden.
"Klein Russland" in Lahr
Ankunft vs. "Ankommen"
>Wenn man von Integration spricht, ist beispielsweise die „Chancengleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft“ ein guter Parameter.
Die „(Spät-)Aussiedler“ zählen zu den am besten integrierten Menschen, die nach Deutschland und nach Baden-Württemberg gekommen sind. Im Forschungsbericht anlässlich des 60. Jahrestages der Verabschiedung des BVFG ist sogar von einem „Gewinn für Deutschland“ die Rede.[12] Doch es gab ebenso, je mehr Menschen kamen und je entfernter ihre Wurzeln schienen, viel Missmut in der deutschen Aufnahmegesellschaft und viele Startschwierigkeiten seitens der Ankömmlinge.
Die ersten Aussiedler hatten eine eher erfolgreiche Integrationsgeschichte; sie bekamen gleich einen deutschen Pass, Sprachkurse und Eingliederungsmaßnahmen. Ferner besaßen sie auch noch solide Kenntnisse der deutschen Sprache. Dies trug maßgeblich zu ihrer erfolgreichen Integration bei – jedoch verlief diese nicht bei jedem gleich und längst nicht problemlos. Der lange Aufenthalt in den Übergangslagern trug oftmals auch zu einer Abkapselung der russischsprachigen Community bei, die in der deutschen Gesellschaft auch als solche wahrgenommen wurde; als russische Wirtschaftsmigranten, die keinerlei Bezug mehr zu Deutschland hätten.
Die Arbeitslosenquote war insbesondere in den 1990er Jahren im Vergleich zur Arbeitslosigkeit bei den Einheimischen hoch; dies ist u.a. auf die strukturell bedingten Unterschiede bei den Berufsausbildungen in den sozialistischen bzw. postsozialistischen Ländern zu den deutschen Ausbildungen zurückzuführen, ebenso aber auch auf den Mangel an Sprachkenntnissen, um den gewohnten Beruf, beispielsweise im öffentlichen Dienst, hier entsprechend ausüben zu können. Auffälliges oder auch kriminelles Verhalten Einzelner oder Gruppen trug bei zur negativen Wahrnehmung durch die Medien und in der Gesellschaft. Als Reaktion darauf wurden die Aufnahmebedingungen verschärft und das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz im Jahr 1993 angepasst. Kommen durfte nun nur noch, wer nachweisen konnte, dass sich die Folgen des Zweiten Weltkriegs bis heute auf sein Leben auswirkten – somit also vorwiegend in der Sowjetunion lebende Deutsche.
Oft kommen die Russlanddeutschen unter einen Rechtfertigungsdruck:
„Spätaussiedler wurden entscheidend durch Lebensbedingungen und Alltagskultur in den Herkunftsländern geprägt, während ihre Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit in den meisten Fällen keine Handlungspraxis im Hinblick auf Sprache und kulturelle Traditionen mehr implizierte.“
Was genau ist dann deutsch an ihnen, wo verorten sie sich selbst – oder sind die Aussiedler vielmehr zwischen zwei Kulturen beheimatet, und dieses „Dazwischen“ ist ihre Verortung?
[1] Vgl. Dietz, Barbara: Fremde Deutsche: Zuwanderung und Integration von Aussiedlern. In: Beer, Matthias (Hrsg.) (2014): Baden-Württemberg – eine Zuwanderungsgeschichte. Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung. Stuttgart: Kohlhammer. (Eine Hauptquelle dieses Beitrags.)
[2] Vgl. Schneider, Jan: Aussiedler. Online-Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung.
[3] Definition des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Internetquelle: http://www.bamf.de/DE/Migration/Spaetaussiedler/spaetaussiedler-node.html
[4] Vgl. Tröster, Irene: (Spät-)Aussiedler – „Neue, alte Deutsche“. In: Meier-Braun, Karl-Heinz / Weber, Reinhold (Hrsg.) (2013): Migration und Integration in Deutschland. Begriffe – Fakten –Kontroverse. Stuttgart: Kohlhammer. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. (Eine der Hauptquellen dieses Beitrags.)
[5] Vgl. Schneider, Jan (2005): Die Geschichte der Russlanddeutschen. Online-Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung, Internet-Link: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/56417/russlanddeutsche?p=all
[6] Vgl. Statistik über die Aufnahme der Spätaussiedler in Baden-Württemberg auf der Internetseite des baden-württembergischen Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration. Internetquelle: http://im.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-im/intern/dateien/pdf/Statistik_Aufnahme_von_Aussiedlern_Spaetaussiedlern.pdf (zuletzt abgerufen am 03.07.2017).
[7] Vgl. Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge online (Die Spätaussiedler sind im Paragrafen 4 auf den Seiten 2 und 3 vermerkt).
[8] Vgl. BVFG § 1, Absatz II, Satz 3, Nr. 1.
[9] Vgl. die Familiengeschichte der Schriftstellerin Agnes Giesbrecht, die 1989 nach Deutschland kam, nachdem sie und ihre Familie lange auf die Ausreise gewartet hatten. In: Suvak, Sefa Inci / Hermann, Hustus (Hrsg.) (2008): „In Deutschland angekommen …“ Einwanderer erzählen ihre Geschichte. 1995 – heute. Gütersloh/München: Wissen Media Verlag.
[10] Vgl. Walheim, Petra: Klein-Russland in Lahr. Online-Artikel in der Südwest Presse.
[11] Vgl. Lauer, Marco: Klein-Kasachstan im Ländle. In: Online-Artikel in der taz.
[12] Worbs, Susanne / Bund, Eva / Kohls, Martin / Babka von Gostomski, Christian (Hrsg.) (2013): (Spät-)Aussiedler in Deutschland. Eine Analyse aktueller Daten und Forschungsergebnisse. Forschungsbericht 20 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
[13] Erzählwerkstatt für Menschen aus aller Welt. Diaphania Heilbronn.