Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien
Zersplitterte Landkarten
Kapitel
Sie lebten 58 Jahre gemeinsam Seite an Seite. Ob Serb:innen, Kroat:innen, Slowen:innen, Bosnier:innen, Personen aus Montenegro oder Mazedonien. Die Republik Jugoslawien war ein Vielvölkerstaat auf dem Balkan und bestand trotz der ethnischen Unterschiede in Kultur und Religion beinahe 60 Jahre. Eine Aneinanderreihung von Konflikten, in deren Verlauf die ethnische Herkunft der Menschen immer stärker in den Vordergrund rückte, führte schließlich zu gewaltsamer Vertreibung, Umsiedlung, Deportation, Mord und einem langanhaltenden Bürgerkrieg.
Die „Föderative Volkrepublik Jugoslawien“ wurde 1945 von Josip Broz Tito gegründet, dem Anführer der Partisanenbewegung der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KJP) im Zweiten Weltkrieg und späteren ersten Ministerpräsidenten Jugoslawiens . Sie bestand aus den sechs Teilrepubliken Serbien, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien und die zu Serbien gehörenden Provinzen Vojvodina und Kosovo.[1]
Dokutipp:
Illusion Jugoslawien (2017)/arte
Die zweiteilige Dokumentation beleuchtet die Geschichte
ugoslawiens und den langanhaltenden Mythos vom Vielvölkerstaat der mit dem Tod
Titos ein jähes Ende nahm.
Jugoslawien bestand aus vielen verschiedenen Ethnien. Dies bedeutete, vor allem wegen der traumatischen Auseinandersetzungen während des Zweiten Weltkrieges für die Völker in der Region, eine enorme Herausforderung für das Zusammenleben.[2]
Mehr zu diesen Ereignissen aus journalistischer Sicht berichtet hier: Der Spiegel.
Fraglich bleibt, ob ein Zugehörigkeitsgefühl zu Jugoslawien wirklich je zustande gekommen ist. Krisen, wie zum Beispiel der „Kroatische Frühling“ 1971, wurden mit harter Hand niedergeschmettert ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. Hinsichtlich dieser Ereignisse gab es keine Reaktion seitens der Regierung und es wurde weiter regiert wie bisher.
Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die unterschiedliche Bevölkerungsstruktur innerhalb der einzelnen Republiken und Provinzen. Besonders Bosnien-Herzegowina sticht durch seine ethnische Vielfalt hervor. Mit 43,7 % Muslime, 31,4 % Serb:innen, 17,3 % Kroat:innen und 5,5 % Jugoslaw:innen[3] wird deutlich, dass der Multikulturalismus hier am stärksten ausgeprägt war und ein wichtiger Faktor mit Blick auf den Bosnien-Krieg und dessen Auswirkungen ist.
Zerfall Jugoslawiens
Nach dem Tod Titos im Jahr 1980 zeichnete sich in Jugoslawien zunächst kein nationaler, sondern ein ordnungspolitscher Konflikt ab.
Die im Norden und Nordwesten Jugoslawiens gelegenen wirtschaftlich starken Republiken Kroatien und Slowenien, fühlten sich durch die häufigen Fehlinvestitionen, die das sozialistische System zu verantworten hatte, in ihrer Entwicklung gehindert. In Folge dessen entwickelten sich zwei grundsätzliche Strömungen: Auf der einen Seite standen, vertreten vor allem durch Regierungen aus Slowenien und Kroatien, die Verfechter einer Liberalisierung von Wirtschaft und Politik. Auf der anderen Seite, vertreten vor allem von der Regierung aus Serbien, Befürworter der Rezentralisierung und einer Stärkung des Bundesstaates.
Der Grad an Wohlstand und Freiheit, der gemessen an anderen sozialistischen Staaten, wie z. B. der UdSSR oder der DDR, recht hoch ausgeprägt war, verringerte sich nach Titos Tod. Eine erhöhte Arbeitslosigkeit, sinkende Lebensstandards, zunehmende Armut und eine hohe Staatsverschuldung führten zu einer immer größer werdenden Verunsicherung und Angst bei der Bevölkerung.
Nach den ersten Wahlen 1990 – an denen sich Serbien und Montenegro nicht beteiligt hatten – kamen in einzelnen Republiken nationale Parteien oder Koalitionen an die Macht. Nun standen sich zwei Lager gegenüber: Serbien und Montenegro, die an das „alte“ Jugoslawien festhielten und die übrigen Republiken, die nach Autonomie und Unabhängigkeit strebten.[4]
1991 verkündeten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit, Bosnien-Herzegowina folgte 1992.
Am 23.12.1991 entschloss sich die Bundesrepublik nach der gescheiterten internationalen Jugoslawienkonferenz im Alleingang die Republiken Slowenien und Kroatien anzuerkennen, die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft folgten erst Anfang 1992 mit der Anerkennung. Bosnien-Herzegowina wurde ebenfalls 1992 anerkannt.
Bürgerkrieg
Als Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärungen entfachte ein blutiger Bürgerkrieg. Die von Serbien dominierte „Jugoslawische Armee“ mobilisierte sich 1991 und marschierte in Slowenien ein. In Kroatien unterstützen sie zeitgleich die freiwilligen paramilitärischen Verbände der serbischen Minderheit, die sich durch die Wahl der nationalistischen Partei „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ bedroht fühlten. In Slowenien konnte der sogenannte „10-Tage-Krieg“ durch die Vermittlungsinitiative der Europäischen Gemeinschaft bereits nach zehn Tagen beendet werden, in Kroatien jedoch dauerte der Krieg weiter an (mehr dazu hier). Es folgten die ersten Kriegsverbrechen, die sowohl von der serbischen, als auch von der kroatischen Seite aus begangen worden.[5]
Im Folgenden Beitrag des SWR, vom 17.07.1991, berichten Geflüchtete von der Situation in Kroatien:
Dokutipp
Bruderkrieg – Der Kampf um Titos Erbe (1995)
Laura Silber, Allen Little
Eine chronologische Darstellung der Ereignisse während des Jugoslawienkrieges mit Hilfe von namhaften Zeitzeugen.
Nach der Unabhängigkeitserklärung 1992 von Bosnien-Herzegowina, eroberten die bosnischen Serben innerhalb von sechs Monaten fast 70 % des bosnischen Staatsgebietes, darunter auch die Hauptstadt Sarajevo, und riefen die „Serbische Republik“ aus. Nach wechselnden Allianzen und Unterstützung der NATO konnte nach fast vier Jahren Krieg, 1995 schließlich Frieden geschlossen werden. Nach dem Abschluss eines Waffenstillstandes wurde in Dayton (Ohio) eine Friedenskonferenz einberufen. Ergebnis dieser Konferenz war ein Abkommen das in Paris von allen Parteien unterzeichnet wurde.
Die Gräueltaten, die Serben, Kroaten und Muslime sich gegenseitig zufügten, konnten nicht verhindert werden. Das „Massaker von Srebrenica“ ging trotz der Entsendung von UN-Friedenstruppen (Blauhelme) als Kriegsverbrechen in die Geschichte ein und wurde durch die UN-Gerichte gemäß der „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ als Genozid
klassifiziert.[6]
Bis zu diesem Zeitpunkt forderte der Krieg mehr als 100.000 Tote und mehr als zwei Millionen Vertriebene. 48 % der Flüchtlinge nahm Deutschland auf.
Auswirkungen auf Deutschland
Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrierte die Bundesrepublik Deutschland zwischen 1991 und 1995 knapp 400.000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Allerdings gibt es eine Dunkelziffer. Viele der Flüchtlinge hatten bereits Bekannte oder Verwandte, die seit Jahrzehnten als sogenannte „Gastarbeiter:innen“ in Deutschland lebten. Sie boten ihren Landsleuten Unterschlupf und so verzichteten viele auf einen Antrag auf Asyl.
1992 berichteten Medien vom Elend vieler Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina an den deutschen Grenzen. Wer kein gültiges Einreisevisum in die Bundesrepublik besaß, durfte nicht einreisen. Das Dilemma an der Situation war, dass durch den Krieg die deutsche Botschaft in Bosnien-Herzegowina geschlossen wurde. Somit hatten die Menschen keine Chance auf ein Visum. Deshalb wurden alle Bosnier:innen ohne Visum vom Grenzschutz an der deutschen Grenze zurückgewiesen, mit Ausnahme von Transitreisenden, Geschäftsleuten und Ehegatten.
Hierzu mehr in diesem Beitrag des Europamagazins vom SWR, 04.07.1992:
Nach den dramatischen Berichterstattungen im Fernsehen kippte auch die öffentliche Meinung hinsichtlich der Solidarität mit den Flüchtlingen. Hinzu kam die Intervention Österreichs, Aufnahmequoten festzulegen und dass sich die Regierung der Bundesrepublik gezwungen sah zu handeln. Die Innenminister der Länder beschlossen die Visumspflicht beizubehalten, jedoch die Einreisebestimmungen zu lockern. Schließlich wurden Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, die verwundet oder krank waren, bevorzugt behandelt. Ebenso wurde ihnen die Einreise gewährt, wenn Verwandte, Bekannte oder Wohlfahrtsorganisationen für Unterkunft und Verpflegung aufkamen. Hierfür mussten diese eine Verpflichtungserklärung unterschreiben.[7]
Was die private Aufnahme von Flüchtlingen mit sich bringen konnte, wird im folgenden Rundfunkbeitrag vom 21.03.1996 deutlich:
Ebenso wurde das Thema Asyl auch in vielen Reportagen und Fernsehbeiträgen diskutiert. Im folgenden Beitrag wird das Asylverfahren und dessen Nachteile thematisiert.
Als Anfang der 1990er Jahre Hunderttausende aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland flüchteten, kam es zu Gewalttaten mit rassistischen und ausländerfeindlichen Hintergrund. Hoyerswerda, Mannheim und Rostock sind hier ein Begriff. 1992 registrierten die Behörden 7121 Straftaten, die von rechtsradikalen Aktivisten ausgingen und mindestens 18 Todesopfer forderten.[8]
Verschärfung des Asylrechts 1993
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ – so stand es bis 1993 im Grundgesetz Deutschlands. Nun sollte eine Änderung folgen. Ziel des neuen Asylgesetzes unter der CDU/FDP Regierung war es, die Verfahren zu beschleunigen und einen „Asylmissbrauch“ zu verhindern. Dazu sollte der bestehende Artikel 16 geändert werden.[9]
Trotz großer Proteste kam am 26.05.1993 die nötige Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat zustande. Die Mehrheit war für eine Grundgesetzänderung unerlässlich.
Drei wesentliche Neuerungen traten in Kraft:
Die Drittstaatenregelung:
Über ein EU-Land oder ein anderes Nachbarland Deutschlands
eingereiste Asylsuchende haben keinen Anspruch auf Asyl und können sofort
abgewiesen werden.
Die sicheren Herkunftsstaaten:
Asylsuchende aus Ländern in denen keine Verfolgung oder
unmenschliche Behandlung droht, haben keinen Anspruch auf Asyl.
19-tägige „Festsetzung“ an Flughäfen:
Da die Transitbereiche von Flughäfen als „exterritoriale
Gebiete“ eingestuft werden, können Asylanträge bereits vor Ort überprüft werden.
Für die Menschen aus Bosnien und Herzegowina, die es schließlich doch nach Deutschland geschafft hatten, lagen die Chancen, ohne Verwandte oder Bekannte in der Bundesrepublik Asyl zu bekommen, nahezu bei null. Sie erhielten nur eine Duldung, da das Asylrecht nur für Menschen gilt, die eine staatliche Verfolgung erleiden mussten. Den Status der Duldung erhielten Flüchtlinge, die das Bundesgebiet zwar verlassen mussten, aber aus rechtlichen, dringend humanitären oder persönlichen Gründen nicht ausreisen konnten. Eine Duldung wurde nur für maximal sechs Monate ausgestellt und muss immer wieder vor Ablauf der Frist erneut beantragt werden. Während dieser Zeit durften die Ausländer:innen nicht abgeschoben werden. Zahlreiche Bilder belegen, wie riesige Warteschlangen vor der zuständigen Behörde warteten, um ihren Antrag zu verlängern.[10]
Somit mussten viele Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina mehrere Jahre in Ungewissheit leben, ohne das sie wussten wie es mit ihnen in der Zukunft weitergeht, ob und wo sie eine Existenz aufbauen und eine Heimat finden können. Die Gesetzgebung hat später für gut integrierte geduldete Ausländer die Möglichkeit geschaffen, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten und in der Bundesrepublik leben zu können.
Diesem Beitrag liegen Hauptsächlich folgenden Werke zu Grunde:
Goeke, Pascal, Transnationale Migration. Post-jugoslawische Biografien in der Weltgesellschaft.
[1] Kogelfranz, S.: Der dümmste aller Kriege (III), in: DER SPIEGEL 30/1992, S. 130ff
[2] Durch die neue Verfassung von 1963, wurde in Artikel 41 das Recht jeden Bürgers verankert, seine Nationalität frei auszudrücken (d.h. die Bürger waren nicht verpflichtet über ihre Nationalität Auskunft zu geben oder sich für eine Nationalität zu entscheiden. Diese wurden als Jugoslawen registiriert)
[3] Sundhaussen, H.: Der Zerfall Jugoslawiens und dessen Folgen. Bundeszentrale für politische Bildung. (2008) URL:https://www.bpb.de/apuz/31042/der-zerfall-jugoslawiens-und-dessen-folgen?p=all
[4] Vgl. U.a. Amnesty International, Torture and Deliberate and Arbitrary Killings in War Zones, New York 1991; Hannes Grandits/Christian Promitzer, “Former Comrades” at War. Historical Perspectives on “Ethnic Cleansing” in Croatia, in: Joel M. Halpern/David A. Kideckel (eds.), Neighbors at War. Historical Perspectives on Yugoslavia Ethnicity, Culture ans History, University Park, PA 2000, S. 125 ff
[5] Auer, Dirk: Wieder am Scheideweg. 21.11.2015. URL: http://www.deutschlandfunk.de/20-jahre-dayton-vertrag-wieder-am-scheideweg.724.de.html?dram:article_id=337552
[6] Salto in Bonn. DER SPIEGEL 22/1992. S.28ff URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13688514.html
[7]Rassismus, Mob und Flächenbrand – 20 Jahre nach Roststock Lichterhagen. ZEIT Blog. URL: http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/07/18/rassismus-mob-und-flachenbrand-20-jahre-nach-rostock-lichtenhagen_9148
[8] Vor 20 Jahren: Einschränkung des Asylrechts. (24.05.2013) URL: http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/160780/asylkompromiss-24-05-2013
[9] Dienelt, Dr. K.: Duldung: Was ist eine Duldung und mit welchen Rechten ist sie verbunden? Bundeszentrale für politische Bildung. URL: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/233846/definition-fuer-duldung-und-verbundene-rechte?p=all